Gendermedizin am Beispiel Herzinfarkt bei Frau und Mann

23. August 2025

Fallbeispiel für ein Herzinfarkt bei Mann und Frau – unterschiedliche Symptome können über Leben und Tod entscheiden. Damit gewinnt Gendermedizin zunehmend an Bedeutung.

Es ist ein Dienstagmorgen im Februar, als Sabine Müller plötzlich ein starkes Brennen zwischen den Schulterblättern verspürt. Ihr wird übel, sie schwitzt und fühlt sich merkwürdig schwach. „Bestimmt die Grippe“, denkt die 54-jährige Buchhalterin und geht trotzdem zur Arbeit. Drei Stunden später bricht sie im Büro zusammen – Herzinfarkt. Währenddessen erlebt ihr Kollege Thomas ganz andere Symptome: stechende Brustschmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen. Er ruft sofort den Notarzt und überlebt.

Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Sie verdeutlicht ein Problem, das die moderne Medizin erst langsam zu verstehen beginnt: Gendermedizin – die Erkenntnis, dass sich Krankheiten bei Frauen und Männern mit völlig unterschiedlichen Symptomen äußern können. Was jahrzehntelang als medizinischer Standard galt, entpuppt sich zunehmend als gefährliche Halbwahrheit.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Gendermedizin – Definition Bedeutung und Beispiele

Gendermedizin ist ein Ansatz, der die Unterschiede zwischen Sex (biologisches Geschlecht: Chromosomen, Hormone, Organe) und Gender (soziales Geschlecht: Rollen, Arbeit, Belastungen) systematisch in Prävention, Diagnose und Therapie einbezieht, damit Behandlungen für alle passgenauer werden.

Wichtige Fachbegriffe – kurz erklärt:

  • Sex vs. Gender: Biologie vs. soziale Rahmenbedingungen; beides beeinflusst Krankheitsrisiken und Therapieerfolg.
  • Bias: Systematische Verzerrung, z. B. wenn Studien überwiegend an Männern durchgeführt werden und Ergebnisse dann ungenau auf Frauen übertragen werden.
  • Pharmakokinetik/-dynamik: Wie ein Medikament aufgenommen, verteilt und abgebaut wird (Kinetik) und wie es wirkt (Dynamik) – beides kann sich bei Frauen und Männern unterscheiden.
  • Endpunkte: Messgrößen in Studien (z. B. Herzinfarkte, Lebensqualität); gendermedizinisch wird geprüft, ob sie beide Geschlechter gleich gut abbilden.
  • Systemisch (medizinisch) heißt: den ganzen Organismus betreffend – weil sich Krankheit oder Wirkstoff über Blut- oder Lymphbahn im Körper verteilt. Gegenteil: lokal/topisch (nur an einer Stelle).

    Kurzbeispiele:

    • Systemische Therapie: Tabletten oder Infusionen, wirken im ganzen Körper.
    • Systemische Entzündungsreaktion (SIRS): Entzündung des gesamten Körpers.
    • Systemische Nebenwirkungen: Effekte fern der behandelten Stelle (z. B. Müdigkeit nach Medikament).

Gendermedizin berücksichtigt typische Unterschiede bei Symptomen, Diagnose, Behandlung und Prävention am Beispiel Herzinfarkt bei Frauen und Männer

BereichWas unterscheidet sich?Beispiel
SymptomePräsentation und WahrnehmungHerzinfarkt: Frauen häufiger Übelkeit/Rückenschmerz, Männer öfter Brustdruck.
DiagnosepfadeSchwellen für Tests, BewertungFrauen werden bei gleichen Beschwerden teils später kardiologisch abgeklärt.
MedikamenteDosis, Wirkung, NebenwirkungenBeruhigungs- oder Schmerzmittel können bei gleicher Dosis unterschiedlich stark wirken.
PräventionRisikofaktoren und ZugangBeruf, Care-Arbeit, Stress (Gender) und Hormone (Sex) verändern Risiken.

Kurz gesagt: Gendermedizin macht Medizin genauer, indem sie biologische und soziale Unterschiede vorher mitdenkt – statt alle nach dem gleichen Schema zu behandeln.

Tabelle mit Beispielen für Gendermedizin: Gleiche Krankheit bei unterschiedlichen Symptomen Diagnosen und Verläufen

Hier sind Krankheitsbilder, bei denen Sex (Biologie), also das Geschlecht und Gender (soziale Faktoren) deutlich unterschiedliche Verläufe, Symptome oder Risiken zeigen:

KrankheitsbildWas unterscheidet sich?Beispiel aus der Praxis
SchlaganfallFrauen erkranken im Schnitt später, zeigen häufiger atypische Symptome (z. B. Verwirrtheit, Übelkeit), haben häufiger Behinderungen nach dem Ereignis.Risikoanstieg durch Vorhofflimmern, Pille, Schwangerschaft/Wochenbett; Männer werden öfter schneller thrombolysiert.
Autoimmunerkrankungen (z. B. SLE, Hashimoto, Rheumatoide Arthritis)Frauen deutlich häufiger betroffen; Männer teils schwererer Verlauf bei einigen Entitäten.SLE ~9:1 (w:m); RA ~3:1.
Multiple SkleroseFrauen erkranken häufiger; Männer häufiger schnellerer Progress.Therapiewahl und Verlaufsprognose unterscheiden sich.
OsteoporoseFrauen (postmenopausal) klar häufiger; Männer oft unterdiagnostiziert, dafür höhere Sterblichkeit nach Hüftfraktur.Screening und Vitamin-D/Bisphosphonat-Indikation differenzieren.
Depression/AngststörungenFrauen höhere Prävalenz; Männer seltener diagnostiziert, aber höhere Suizidsterblichkeit.Unterschiedliche Symptomprofile (internalisierend vs. externalisierend).
Migräne vs. Cluster-KopfschmerzMigräne ~3:1 bei Frauen, hormonabhängige Trigger; Cluster häufiger bei Männern.Zyklus/Schwangerschaft berücksichtigen.
COPD & LungenkrebsBei gleichem Rauchverhalten teils stärkere Symptomlast bei Frauen; Nie-Raucher-Lungenkrebs häufiger bei Frauen, andere Mutationsmuster.Therapien (z. B. EGFR-gerichtet) unterschiedlich relevant.
HerzinsuffizienzFrauen häufiger HFpEF, Männer eher HFrEF; Medikamente wirken teils unterschiedlich.Diagnostik (Echo-Parameter) und Therapieziele variieren.
Herzrhythmusstörungen & arzneiinduzierte QT-VerlängerungFrauen haben längeres basales QT und höheres Torsade-de-Pointes-Risiko.Vorsicht bei QT-verlängernden Medikamenten (Dosis/Monitoring).
Diabetes mellitusGleicher HbA1c → anderes kardiovaskuläres Risiko; Gestationsdiabetes nur bei Frauen.Frauen verlieren nach Diabetes mehr „Gefäßschutz“; Männer häufiger Frühkomplikationen bestimmter Art.
Chronische Nierenerkrankung (CKD)Frauen etwas häufiger, Männer schnellerer Progress zur Dialyse.Unterschiede bei Transplantationszugang und Outcome.
COVID-19/Long-COVIDMänner schwerere Akutverläufe; Frauen häufiger Long-COVID-Beschwerden.Reha-Bedarf und Arbeitsfähigkeit unterscheiden sich.

Kurzglossar (einfach erklärt):

  • Atypische Symptome: Beschwerden, die nicht dem „Lehrbuch“ entsprechen (z. B. Übelkeit statt Lähmung bei Schlaganfall).
  • Progress: Krankheitsfortschreiten.
  • HFpEF/HFrEF: Herzschwäche mit erhaltener (preserved) vs. reduzierter (reduced) Auswurfleistung.
  • QT-Zeit/Torsade de pointes: Abschnitt im EKG; Verlängerung erhöht das Risiko einer gefährlichen Herzrhythmusstörung.
  • Mutationsmuster: Genetische Veränderungen eines Tumors, die die Therapie bestimmen können.

Merksatz: Gendermedizin heißt hier nicht „kleine Unterschiede“, sondern oft andere Risiken, andere Zeichen, anderes Management – und damit teils andere Therapieentscheidungen.

Wenn der Herzinfarkt bei Frauen nicht wie im Lehrbuch aussieht

Die klassischen Symptome – ein männliches Phänomen

Wenn wir an einen Herzinfarkt denken, haben die meisten von uns ein klares Bild vor Augen: Ein Mann greift sich dramatisch an die Brust, verzieht das Gesicht vor Schmerzen und sackt zusammen.

Diese Darstellung dominiert nicht nur Hollywood-Filme, sondern prägte jahrzehntelang auch die medizinische Ausbildung. Der Grund dafür ist einfach und erschreckend zugleich: Die meisten Herzinfarkt-Studien wurden hauptsächlich an Männern durchgeführt.

Das klassische Muster, das wir als „typischen“ Herzinfarkt kennen, umfasst folgende Symptome:

  • Starke, drückende Brustschmerzen
  • Ausstrahlung der Schmerzen in den linken Arm
  • Kalter Schweiß
  • Atemnot
  • Todesangst

Herzinfarkt Symptome Frau: Das gefährliche Versteckspiel

Bei Frauen sieht die Realität jedoch völlig anders aus. Die Symptome für Herzinfarkt bei Frauen manifestieren sich oft so subtil und atypisch, dass selbst erfahrene Mediziner sie übersehen können. Dr. Martha Gulati, Kardiologin an der University of Arizona, beschreibt es so:

  • „Frauen erleben Herzinfarkte wie einen langsamen, schleichenden Prozess, während Männer einen plötzlichen, dramatischen Kollaps erleben.“

Typische Herzinfarkt Symptome bei Frauen:

SymptomHäufigkeit bei FrauenHäufigkeit bei Männern
Übelkeit und Erbrechen62%28%
Rückenschmerzen45%18%
Kieferschmerzen38%12%
Extreme Müdigkeit71%35%
Klassischer Brustschmerz57%89%

Diese Zahlen verdeutlichen das Drama: Während fast 9 von 10 Männern den „typischen“ Brustschmerz verspüren, erlebt nur etwa jede zweite Frau dieses Warnsignal. Stattdessen klagen Frauen über Beschwerden, die leicht als Stress, Wechseljahrsbeschwerden oder sogar als „Frauenleiden“ abgetan werden.

Die biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen verstehen

Warum aber äußert sich ein Herzinfarkt bei Frauen so anders als bei Männern? Die Antwort liegt in der komplexen Biologie unserer Körper. Frauenherzen sind im Durchschnitt kleiner und haben engere Herzkranzgefäße. Während bei Männern typischerweise große Hauptarterien verstopfen – was zu den dramatischen, klassischen Symptomen führt – sind bei Frauen oft die kleineren Verzweigungen betroffen.

Zusätzlich spielt das Hormon Östrogen eine schützende Rolle für das Herz-Kreislauf-System. Vor den Wechseljahren haben Frauen daher ein deutlich geringes Herzinfarktrisiko. Doch genau dieser Schutz wird zum Verhängnis: Wenn Frauen später im Leben einen Herzinfarkt erleiden, sind Ärzte weniger darauf vorbereitet, und die Symptome werden häufiger fehlgedeutet.

Der Gender Data Gap in der Medizin

Wenn Forschung zur Falle wird

Das Problem der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Medizin reicht weit über Herzinfarkte hinaus. Die sogenannte Gender Data Gap Medizin – die systematische Unterrepräsentation von Frauen in medizinischen Studien – hat weitreichende Konsequenzen. Bis in die 1990er Jahre wurden Frauen routinemäßig von klinischen Studien ausgeschlossen, offiziell um sie vor möglichen Nebenwirkungen zu schützen.

Die Ironie dabei: Dadurch entstanden Medikamente und Behandlungsprotokolle, die primär auf männliche Körper zugeschnitten waren. Frauen wurden zu Versuchskaninchen im realen Leben, während Männer die kontrollierten Studienteilnehmer waren.

Frauengesundheit Forschung: Der lange Weg zur Gleichberechtigung

Erst seit wenigen Jahrzehnten erkennt die Forschung bei Frauengesundheit die Tragweite dieses Problems. Bahnbrechende Studien wie die Women’s Health Initiative haben gezeigt, dass Frauen nicht einfach „kleine Männer“ sind. Sie reagieren anders auf Medikamente, entwickeln andere Symptome und haben unterschiedliche Krankheitsverläufe.

Ein besonders drastisches Beispiel lieferte die Schlafmittelstudie zu Zolpidem (Ambien). Jahrelang erhielten Frauen und Männer die gleiche Dosis – bis Forscher entdeckten, dass Frauen das Medikament doppelt so langsam abbauen. Die Folge: Millionen von Frauen hatten jahrelang eine Überdosis genommen, was zu Tagesmüdigkeit und gefährlichen Verkehrsunfällen führte.

Unterschiede Medizin Mann Frau: Mehr als nur Anatomie

Autoimmunerkrankungen: Wenn das Immunsystem zur Bedrohung wird

Die Unterschiede in der Medizin bei Mann und Frau zeigen sich besonders deutlich bei Autoimmunerkrankungen. Etwa 80% aller Betroffenen sind Frauen. Krankheiten wie Multiple Sklerose, Lupus oder rheumatoide Arthritis treffen Frauen drei- bis zehnmal häufiger als Männer. Diese Erkrankungen können zu Depressionen durch Entzündungen im Gehirn führen, was die Komplexität der Behandlung zusätzlich erhöht.

Lange Zeit wurden diese Unterschiede mit dem Verweis auf Hormone abgetan. „Es liegt an den Hormonen“ wurde zur Standardantwort für alle gesundheitlichen Beschwerden von Frauen. Heute wissen wir: Es ist komplizierter. Zwar spielen Hormone eine Rolle, aber auch genetische Faktoren, Umwelteinflüsse und soziale Determinanten beeinflussen die Krankheitsentstehung unterschiedlich.

Die Schmerzwahrnehmung: Wenn Leiden nicht ernst genommen wird

Frauen erleben Schmerzen anders als Männer – sie haben eine niedrigere Schmerzschwelle, aber eine höhere Schmerztoleranz. Paradoxerweise führt dies dazu, dass ihre Schmerzen häufiger bagatellisiert werden. Der Klassiker: „Das ist psychosomatisch“ oder „Sie sind einfach empfindlich.“

Diese Einstellung hat reale Konsequenzen. Studien zeigen, dass Frauen im Krankenhaus länger auf Schmerzmedikamente warten und niedrigere Dosen erhalten als Männer mit vergleichbaren Beschwerden. Bei Herzinfarkten kann diese Verzögerung lebensbedrohlich sein.

Medikamentenwirkung Frauen: Die Dosis macht den Unterschied

Warum die Einheitsdosis ein Irrweg ist

Die Medikamentenwirkung bei Frauen unterscheidet sich fundamental von der bei Männern, und das aus mehreren Gründen. Frauen haben im Durchschnitt weniger Muskelmasse, mehr Körperfett und einen langsameren Stoffwechsel. Diese Faktoren beeinflussen, wie schnell Medikamente aufgenommen, verteilt und wieder ausgeschieden werden.

Ein anschauliches Beispiel liefern Schmerzmittel. Opioide wirken bei Frauen länger und intensiver – ein Effekt, der durch den Menstruationszyklus noch verstärkt wird. Während der ersten Zyklushälfte benötigen Frauen oft niedrigere Dosen, in der zweiten Hälfte kann die Wirkung jedoch abgeschwächt sein.

Nebenwirkungen: Das unterschätzte Risiko

Besonders problematisch wird es bei den Nebenwirkungen. Frauen erleben häufiger und intensivere unerwünschte Arzneimittelwirkungen als Männer. Das liegt nicht nur an der Dosierung, sondern auch an biologischen Unterschieden in der Verstoffwechselung. Studien zu Nebenwirkungen verschiedener Therapien zeigen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede oft übersehen werden.

Medikamentenklassen mit besonderen Geschlechtsunterschieden:

  • Antidepressiva: Frauen sprechen besser auf SSRI an, Männer eher auf trizyklische Antidepressiva
  • Blutdrucksenker: ACE-Hemmer können bei Frauen häufiger zu trockenem Husten führen
  • Aspirin: Schützt bei Männern eher vor Herzinfarkten, bei Frauen vor Schlaganfällen
  • Statine: Frauen entwickeln häufiger Muskelschmerzen als Nebenwirkung

Hormonelle Besonderheiten: Der Zyklus als Einflussfaktor

Wechseljahre: Mehr als nur Hitzewallungen

Die Hormonumstellung während der Wechseljahre oder der Perimenopause bringt nicht nur die bekannten Hitzewallungen mit sich. Sie verändert das gesamte Krankheitsrisiko einer Frau grundlegend. Das schützende Östrogen fällt weg, wodurch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und bestimmte Krebsarten steigt.

Gleichzeitig verändert sich die Wirkung vieler Medikamente. Antidepressiva können plötzlich anders wirken, Blutdruckmittel müssen angepasst werden, und auch die Dosierung von Notfallverhütung kann sich durch hormonelle Veränderungen unterscheiden.

Der Menstruationszyklus als Störfaktor in der Forschung

Lange galten die hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus als „Störfaktor“ in medizinischen Studien. Um „saubere“ Ergebnisse zu erhalten, wurden Frauen kurzerhand ausgeschlossen. Heute erkennen wir diese zyklischen Veränderungen als wichtige Variable, die in die Behandlung einbezogen werden muss.

So kann beispielsweise die Anfallshäufigkeit bei Epilepsie zyklusabhängig schwanken, und auch die Wirkung von Antidepressiva verändert sich mit den Hormonschwankungen. Diese Erkenntnisse führen zu personalisierten Therapieansätzen, die den weiblichen Zyklus berücksichtigen.

Neue Wege in der Gendermedizin

Präzisionsmedizin: Die Zukunft ist individuell

Die moderne Gendermedizin entwickelt sich von der reinen Symptombeschreibung hin zur personalisierten Therapie. Genetische Tests können bereits heute vorhersagen, wie eine Patientin auf bestimmte Medikamente reagieren wird. Diese pharmakogenetischen Tests berücksichtigen nicht nur das Geschlecht, sondern auch individuelle Stoffwechselvarianten.

Ein vielversprechender Ansatz sind geschlechtsspezifische Biomarker. Während bei Männern bestimmte Herzenzyme als Infarktzeichen gelten, können bei Frauen andere Marker aussagekräftiger sein. Forscher arbeiten an Bluttests, die speziell auf weibliche Herzinfarktmuster zugeschnitten sind.

Künstliche Intelligenz als Chance

Moderne KI-Systeme lernen bereits, geschlechtsspezifische Muster in medizinischen Daten zu erkennen. Diese Technologie könnte in Zukunft dabei helfen, atypische Symptome bei Frauen früher zu identifizieren. Erste Pilotprojekte in Notaufnahmen zeigen vielversprechende Ergebnisse bei der Früherkennung von Herzinfarkten bei Frauen.

Von der Forschung in die Praxis

Was Patientinnen wissen sollten

Das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede wächst, aber der Weg in die Arztpraxis ist noch weit. Frauen können jedoch bereits heute aktiv zu einer besseren Versorgung beitragen:

Wichtige Tipps für Patientinnen:

  • Nehmen Sie ungewöhnliche Symptome ernst, auch wenn sie nicht „typisch“ erscheinen
  • Informieren Sie Ihren Arzt über Ihren Menstruationszyklus bei der Medikamenteneinnahme
  • Fragen Sie gezielt nach geschlechtsspezifischen Nebenwirkungen
  • Lassen Sie sich nicht mit „Das ist psychosomatisch“ abspeisen
  • Suchen Sie bei Zweifeln eine zweite Meinung ein

Die Rolle der Ärzte

Auch Mediziner müssen umdenken. Fortbildungen zur Gendermedizin werden zunehmend zur Pflicht, und medizinische Leitlinien werden schrittweise überarbeitet. Der Umgang mit verschiedenen Medikamenten erfordert heute ein differenzierteres Verständnis geschlechtsspezifischer Unterschiede.

Moderne Arztpraxen beginnen, geschlechtsspezifische Checklisten zu verwenden und bei der Anamnese gezielt nach atypischen Symptomen zu fragen. Diese systematische Herangehensweise kann Leben retten.

Ein Blick in die Zukunft der Gendermedizin

Die nächste Generation der Medizin

Die Gendermedizin steht erst am Anfang ihrer Entwicklung. Künftige Studien werden von vornherein geschlechtsspezifisch geplant, und neue Medikamente durchlaufen bereits heute differenzierte Testverfahren. Die Vision: Eine Medizin, die nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht berücksichtigt.

Denn auch hier zeigen sich Unterschiede: Männer gehen seltener zum Arzt, ignorieren Symptome länger und haben oft ein anderes Gesundheitsverhalten. Diese psychosozialen Faktoren beeinflussen Krankheitsverläufe ebenso wie biologische Unterschiede.

Gesellschaftliche Veränderungen

Der Wandel in der Gendermedizin ist mehr als nur ein medizinischer Fortschritt – er spiegelt einen gesellschaftlichen Wandel wider. Die Anerkennung, dass „normale“ medizinische Versorgung jahrzehntelang primär an männlichen Bedürfnissen orientiert war, führt zu grundlegenden Reformen im Gesundheitswesen.

Diese Entwicklung kommt nicht nur Frauen zugute. Auch Männer profitieren von einer differenzierteren Betrachtung geschlechtsspezifischer Gesundheitsrisiken. So leiden Männer häufiger unter bestimmten psychischen Erkrankungen, die aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen oft übersehen werden.

Fazit: Gendermedizin als Weg zu einer gerechteren und effizienteren Medizin

Die Geschichte von Sabine Müller, mit der dieser Artikel begann, muss nicht mehr die Regel sein. Durch das wachsende Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin können Leben gerettet werden.

Die Gendermedizin lehrt uns eine fundamentale Lektion: Gleichberechtigung in der Medizin bedeutet nicht, alle gleich zu behandeln, sondern die Unterschiede zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Der Weg zu einer wirklich personalisierten Medizin ist noch weit, aber die ersten Schritte sind getan. Jede Patientin, die ihre atypischen Symptome ernst nimmt, jeder Arzt, der geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigt, und jede Studie, die beide Geschlechter einbezieht, bringt uns diesem Ziel näher.

Die Zukunft der Medizin ist nicht geschlechtsneutral – sie ist geschlechtssensibel. Und das könnte nicht nur Sabine Müllers Leben gerettet haben, sondern wird unzähligen anderen Frauen und Männern zu einer besseren medizinischen Versorgung verhelfen.


Häufig gestellte Fragen zur Gendermedizin

1. Warum wurden Frauen früher von medizinischen Studien ausgeschlossen?

Der Hauptgrund war der Schutz vor möglichen Nebenwirkungen auf ungeborene Kinder, falls eine Studienteilnehmerin schwanger werden sollte. Außerdem galten hormonelle Schwankungen als Störfaktor für eindeutige Forschungsergebnisse. Diese gut gemeinte Schutzmaßnahme führte jedoch dazu, dass Medikamente und Behandlungen primär für männliche Körper entwickelt wurden.

2. Sind alle Krankheiten bei Frauen und Männern unterschiedlich?

Nicht alle, aber überraschend viele. Während manche Erkrankungen wie Knochenbrüche ähnlich verlaufen, zeigen sich bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, psychischen Leiden und vielen anderen deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in Symptomen, Verlauf und Behandlungsansprechen.

3. Wie kann ich als Patientin sicherstellen, dass meine geschlechtsspezifischen Bedürfnisse berücksichtigt werden?

Sprechen Sie Ihren Arzt direkt auf mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede an. Erwähnen Sie alle Symptome, auch wenn sie Ihnen unwichtig erscheinen. Informieren Sie sich vorab über typische weibliche Symptome Ihrer Erkrankung und scheuen Sie sich nicht, eine zweite Meinung einzuholen, wenn Sie sich nicht ernst genommen fühlen.

4. Wirken alle Medikamente bei Frauen anders als bei Männern?

Nicht alle, aber viele Medikamente zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede in Wirkung, Dosierung oder Nebenwirkungsprofil. Besonders ausgeprägt sind diese Unterschiede bei Herz-Kreislauf-Medikamenten, Schmerzmitteln, Psychopharmaka und Schlafmitteln. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker nach möglichen geschlechtsspezifischen Besonderheiten.

5. Was ändert sich in der medizinischen Ausbildung bezüglich Gendermedizin?

Immer mehr Universitäten integrieren Gendermedizin als Pflichtfach in das Medizinstudium. Ärzte lernen heute systematisch über geschlechtsspezifische Unterschiede in Symptomatik, Diagnostik und Therapie. Auch für bereits praktizierende Ärzte werden verstärkt Fortbildungen zur Gendermedizin angeboten, um das Bewusstsein für diese wichtigen Unterschiede zu schärfen.

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